Dezember
Wovon ich träume: Mein nächstes Zuhause wäre hier.
„Ich habe Anna Kemper (Name geändert) bei einem Wohnungslosenmittagstisch in Sindorf kennengelernt. Sie saß immer mittendrin zwischen den Raubeinen. Sie brachte die Menschen zusammen und genoss sichtlich deren Respekt. Anna Kemper war eine von der Art Mensch, in dessen Nähe man sich wohl fühlt, entspannt über sich selber zu sprechen beginnt und seine Probleme teilt.
Nur wenn Sie sich ganz unbeobachtet wähnte, bekam Anna einen traurigen Blick, der zeigte, dass auch sie sich auskannte im Land der Sorgen.
Noch etwas fiel auf, wenn man sie länger anschaute. In Ihrer dichten Lockenpracht wuchsen die Haare über Ihrer Stirn zu einem dicken Wirbel. Dieser thronte über den anderen wie ein trotziges Horn, widerspenstig und durch nichts zu bändigen.
Ja, so saß sie stets mittendrin, war glücklich und morgens oft noch betrunken vom Vortag. Selber Hilfe annehmen war nicht ihre Stärke, was ich immer sehr schade fand. Auch wegen ihrer drei erwachsenen Kinder.
Bei einer ihrer wenigen Entgiftungen in der Fachklinik Marienborn, Zülpich malte sie das Straßenbild mit Titel „Wovon ich träume: Mein nächstes Zuhause wäre hier“.
Einige Monate später hinterließ eine Auseinandersetzung sie schwer verletzt. Sie erwachte nicht mehr aus dem induzierten Koma und verstarb. Ihre Beisetzung erfolgte anonym auf einer Wiese im Waldfriedhof Dachsenhausen.
Wenn Sie ihr Leben hätte beschreiben sollen, wäre das Wort `zu kurz´ vermutlich aufgetaucht. `Unvollendet´ aber sicherlich nicht und `unglücklich´ schon gar nicht. “