Josef Höing, geboren am 7. August 1913, kann sehr hartnäckig sein, wenn er etwas unbedingt will. Er teilt sein Geld mit anderen und lacht gern – vielleicht wirkt er deshalb noch so jung.
Josef Höing ist keiner, den man so einfach übersehen kann. Der 101-Jährige ist das, was man früher „stattlich“ nannte. Er hat dichtes graues, leicht gewelltes Haar, er ist groß gewachsen, er lacht viel, er ist schlagfertig, er ist hellwach – und natürlich sitzt er am Kopf und nicht am Rand der kleinen Kaffeetafel, als er aus seinem langen Leben erzählt.
Warum es nun schon so lang ist, darauf hat er eine einfache Antwort: „Ich bin nur 100 geworden, weil ich jeden Tag Kartoffeln esse!“ Dann lacht er wieder. Und jeder weiß, es können nicht nur die Kartoffeln sein, die ihn noch in diesem Alter so jung wirken lassen. Es ist etwas in seinem Innern. Er ist einfach so: stattlich und irgendwie jung.
Vielleicht war es deshalb auch nichts mit ihm und dem Altenheim, in dem er ein knappes Jahr lebte. „Da bin ich nicht zurechtgekommen“, sagt er und grinst, „der Pfleger hat beim Wecken so geschrien.“ Doch im ungeliebten Heim lernte er Hanna kennen. Bei ihr in Pulheim lebt er heute, zusammen mit ihren vier Kindern. Liebevoll nennen sie ihn "Opa", auch wenn er nicht ihr richtiger Opa ist. Josef Höing ist glücklich in seiner "neuen Familie", wie er sagt. Doch allein aufs Glück hat er sich nie verlassen.
Sein Lebensmotto lautet: „Ohne Fleiß kein Preis.“ So hat er sich ein kleines Vermögen angespart. Doch sich jetzt, im Alter, an den Zinsen zu freuen, sich zurückzulehnen und die finanzielle Sicherheit zu genießen, das war seine Sache nicht. Er ist der Überzeugung: „Wenn Sie viel Geld haben und nichts damit anfangen können, müssen Sie etwas abgeben.“ Für ihn ist die Idee des Teilens keine Theorie. Höing macht es. „Wenn man selbst etwas Schlechtes erlebt hat, möchte man Menschen helfen, denen es schlecht geht“, sagt er. 2005 gründete er deshalb die Josef-Höing-Stiftung unter dem Dach der CaritasStiftung im Erzbistum Köln. So unterstützt er caritative Projekte vor Ort genauso wie im Ausland, besonders in Weißrussland und in der im Moment so arg gebeutelten Ukraine.
Josef Höings Leben begann in Herne. Er wurde am 7. August 1913 geboren. Er wuchs im Sauerland auf, in Thülen bei Brilon lebten seine Großeltern auf einem Hof. Daran erinnert er sich gerne: „Da habe ich dann als Junge immer den Bauern beim Heumachen geholfen.“ Später machte er eine Lehre zum Schweißer bei der Firma Flottmann in Bochum. „Die stellten Bergbaumaschinen her. Da hatte ich einen guten Chef, aber der musste das Geschäft aufgeben.“
Sein Vetter, ein Staatsbeschäftigter, wie Josef Höing ihn nennt, riet ihm: „Melde dich doch bei der SS. Du siehst so aus, groß, blond. Das wäre doch was.“ Höing folgte dem Rat des Verwandten, kam aber zunächst zur Wehrmacht. Grundwehrdienst vier Jahre in der Märkischen Heide bei Berlin. Doch es ist nicht die militärische Ausbildung, von der er spricht. Höing schwärmt von der Landschaft und stimmt den Refrain eines Liedes an: „Märkische Heide, märkischer Sand...“ Er spricht über sein neues Lebensgefühl von damals: „In der Märkischen Heide, da bin ich Motorrad gefahren, ohne Helm und alles, da war ich frei.“ Josef Höing wurde auf einem Bahnhof in der Nähe der Kaserne eingesetzt, zunächst als Aufsichtsbeamter, der Fahrkarten verkauft. Später erhielt er Schulungen und wurde im Bahnwesen weitergebildet.
Dann kam der Krieg. Josef Höing hatte Wechseldienst, zunächst am Potsdamer Bahnhof in Berlin. Doch dann musste auch er an die Front, er kam nach Frankreich. Viel erzählt er davon nicht. Nur das: Er wurde verwundet, lag mit seinem verletzten Bein in Paris im Lazarett. Mit der Bahn kam er über Österreich zurück nach Deutschland. Höing spricht lieber von seinem Leben nach dem Krieg. Und davon, dass er genau wusste, was er wollte. Zur Bahn. „Das hatte mir immer Spaß gemacht, dort zu arbeiten.“ Doch niemand hatte ihm eine Stelle frei gehalten, er musste äußerst hartnäckig sein, und er war äußerst hartnäckig. Er schrieb an die Gewerkschaft, und er bat seinen alten Religionslehrer, mittlerweile Bischof von Paderborn, um ein Empfehlungsschreiben. Seine Beharrlichkeit zahlte sich aus. Schließlich wurde er im Betriebsdienst der Bahn eingesetzt. Eine Zeit lang war er Schaffner, doch dann musste er in den Betriebsdienst, in die Buchhaltung, wechseln. „Das ging nicht mehr mit dem Bein“, so Josef Höing. Trotzdem ließ er sich nicht unterkriegen, er war immer aktiv. „Ich war im Kegelklub von der Eisenbahn. Den Namen weiß ich nicht mehr, aber wir sind immer einmal in der Woche auf der Kegelbahn gewesen“, erzählt er und man hört die Begeisterung in seiner Stimme.
"Wenn Sie viel Geld haben und nichts damit anfangen können, müssen Sie etwas abgeben."
Seine erste Ehe hatte nur kurz gedauert, wie es in Kriegszeiten durchaus üblich war. Im Zug – wo auch sonst – lernte er seine zweite Frau kennen. „Sie kam von Aachen und hat mir den Finger verarztet“, schildert Josef Höing die erste Begegnung mit seiner Hanne. Dann trafen sie sich immer öfter im Zug. „Sie war OP-Schwester“, erzählt er stolz, „und von ihr sind die gestickten Bilder in meinem Zimmer.“ Als Hanne starb, war er allein. Kinder hatte das Paar nicht. Und der Kontakt zu seinen anderen Verwandten war und ist nicht eng.
Doch Josef Höing lebte sein Leben, blieb optimistisch, fröhlich und meistens gesund. Bis 2010. Da platzte eine Zyste im Bauchraum, und er musste plötzlich ins Krankenhaus. Danach war der sonst so starke Josef so geschwächt, dass er nicht in seine Wohnung in Köln-Nippes zurückkehren konnte, sondern ins Heim kam. Jenes Heim, in dem er nur ein Jahr blieb und in dem er Hanna kennenlernte, die ihn pflegte. Als er zu ihr in das Haus in Pulheim zog, hätte alles so schön sein können. Doch er erlitt einen Schlaganfall. Vier Tage lag er zur Überwachung auf der Intensivstation – und erholte sich. Schließlich kam er wieder in sein neues Zuhause. Und dort sitzt er nun am Kopf der Kaffeetafel und lacht. Stattlich, hellwach und 101 Jahre jung.
Text: Christina Gigowski
Sein Vetter, ein Staatsbeschäftigter, wie Josef Höing ihn nennt, riet ihm: „Melde dich doch bei der SS. Du siehst so aus, groß, blond. Das wäre doch was.“ Höing folgte dem Rat des Verwandten, kam aber zunächst zur Wehrmacht. Grundwehrdienst vier Jahre in der Märkischen Heide bei Berlin. Doch es ist nicht die militärische Ausbildung, von der er spricht. Höing schwärmt von der Landschaft und stimmt den Refrain eines Liedes an: „Märkische Heide, märkischer Sand...“ Er spricht über sein neues Lebensgefühl von damals: „In der Märkischen Heide, da bin ich Motorrad gefahren, ohne Helm und alles, da war ich frei.“ Josef Höing wurde auf einem Bahnhof in der Nähe der Kaserne eingesetzt, zunächst als Aufsichtsbeamter, der Fahrkarten verkauft. Später erhielt er Schulungen und wurde im Bahnwesen weitergebildet.
Dann kam der Krieg. Josef Höing hatte Wechseldienst, zunächst am Potsdamer Bahnhof in Berlin. Doch dann musste auch er an die Front, er kam nach Frankreich. Viel erzählt er davon nicht. Nur das: Er wurde verwundet, lag mit seinem verletzten Bein in Paris im Lazarett. Mit der Bahn kam er über Österreich zurück nach Deutschland. Höing spricht lieber von seinem Leben nach dem Krieg. Und davon, dass er genau wusste, was er wollte. Zur Bahn. „Das hatte mir immer Spaß gemacht, dort zu arbeiten.“ Doch niemand hatte ihm eine Stelle frei gehalten, er musste äußerst hartnäckig sein, und er war äußerst hartnäckig. Er schrieb an die Gewerkschaft, und er bat seinen alten Religionslehrer, mittlerweile Bischof von Paderborn, um ein Empfehlungsschreiben. Seine Beharrlichkeit zahlte sich aus. Schließlich wurde er im Betriebsdienst der Bahn eingesetzt. Eine Zeit lang war er Schaffner, doch dann musste er in den Betriebsdienst, in die Buchhaltung, wechseln. „Das ging nicht mehr mit dem Bein“, so Josef Höing. Trotzdem ließ er sich nicht unterkriegen, er war immer aktiv. „Ich war im Kegelklub von der Eisenbahn. Den Namen weiß ich nicht mehr, aber wir sind immer einmal in der Woche auf der Kegelbahn gewesen“, erzählt er und man hört die Begeisterung in seiner Stimme.
"Wenn Sie viel Geld haben und nichts damit anfangen können, müssen Sie etwas abgeben."
Seine erste Ehe hatte nur kurz gedauert, wie es in Kriegszeiten durchaus üblich war. Im Zug – wo auch sonst – lernte er seine zweite Frau kennen. „Sie kam von Aachen und hat mir den Finger verarztet“, schildert Josef Höing die erste Begegnung mit seiner Hanne. Dann trafen sie sich immer öfter im Zug. „Sie war OP-Schwester“, erzählt er stolz, „und von ihr sind die gestickten Bilder in meinem Zimmer.“ Als Hanne starb, war er allein. Kinder hatte das Paar nicht. Und der Kontakt zu seinen anderen Verwandten war und ist nicht eng.
Doch Josef Höing lebte sein Leben, blieb optimistisch, fröhlich und meistens gesund. Bis 2010. Da platzte eine Zyste im Bauchraum, und er musste plötzlich ins Krankenhaus. Danach war der sonst so starke Josef so geschwächt, dass er nicht in seine Wohnung in Köln-Nippes zurückkehren konnte, sondern ins Heim kam. Jenes Heim, in dem er nur ein Jahr blieb und in dem er Hanna kennenlernte, die ihn pflegte. Als er zu ihr in das Haus in Pulheim zog, hätte alles so schön sein können. Doch er erlitt einen Schlaganfall. Vier Tage lag er zur Überwachung auf der Intensivstation – und erholte sich. Schließlich kam er wieder in sein neues Zuhause. Und dort sitzt er nun am Kopf der Kaffeetafel und lacht. Stattlich, hellwach und 101 Jahre jung.
Text: Christina Gigowski