Elisabeth Schmauch, geboren am 7. Oktober 1911, war oft krank, und ihr künstlerisches Talent wurde lange nicht entdeckt. Doch sie sagt: „Mit Willen ist alles zu erreichen.“
Das warme Herbstlicht fällt weich in das Zimmer. Elisabeth Schmauch sitzt an ihrem Lieblingsplatz, direkt am Fenster mit Blick auf die bunten Laubbäume des Kottenforsts. Seit mehr als 30 Jahren wohnt sie schon hier, im Seniorenhaus Maria Einsiedeln auf dem Bonner Venusberg. Später wird sie sagen, dass die Zeit in der Einrichtung der Stiftung der Cellitinnen zur heiligen Maria zu einer ihrer schönsten gehört. Sie schaut nach draußen: „Im Sommer, wenn ich die Fenster weit geöffnet habe, ist es so, als säße ich mitten im Wald.“
Elisabeth Schmauch liebt die Natur. Blumen, Tiere und Pflanzen sind ihre Leidenschaft. Die Bilder an den Wänden ihres Zimmers zeigen das. Die Motive sind akkurat gezeichnet, mit viel Liebe zum Detail, in leuchtenden Farben. Elisabeth Schmauch hat sie selbst gemalt. Am 7. Oktober dieses Jahres hatten die Schwestern den Raum mit den Kunstwerken geschmückt zur Feier des Tages.
Dann waren die Nichten aus Hamburg und der Schweiz, Freunde, Bekannte und die lokale Prominenz gekommen, um zu gratulieren – zum 103. Geburtstag, zu einem sehr langen Leben. Ein Leben, in dem Elisabeth Schmauchs künstlerisches Talent lange unentdeckt blieb. Dabei hat sie schon im Pensionat gemalt, das direkt hinter der holländischen Grenze in der Provinz Limburg lag.
Dorthin hatten die Eltern ihre jüngste Tochter geschickt, um ihr eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Auf ihr Zeichentalent hat dabei niemand geachtet. Malen nahm man zu dieser Zeit nicht besonders ernst.
Erst im Zweiten Weltkrieg entdeckte man die besondere Fähigkeit der jungen Elisabeth zur grafischen Genauigkeit und ihre Detailliebe. So wurde sie zur technischen Zeichnerin im Erkennungsdienst ausgebildet. Eine eher ungewöhnliche Förderung für eine Frau, „aber im Krieg war ja alles ungewöhnlich“, sagt die Seniorin.
Ihre Lehre hatte Elisabeth Schmauch im Verkauf in einem exklusiven Pelzgeschäft auf der Hohen Straße in Köln absolviert. Die „Hautevolee“ von Köln und Umgebung habe sie bedient, sagt sie. Die Erinnerungen daran seien aber nicht nur gut. Nach ihrer Ausbildung blieb die damals 17-Jährige wieder zu Hause. „Das waren die schlechten Jahre“, so Schmauch, „Arbeit gab es so gut wie keine.“
Ihre Mutter schickt sie in eine Nähschule. Aber mehr als für das Nähen begeistert sich Elisabeth für das Zeichnen ihrer Kleidungsstücke. Die handwerkliche Umsetzung der Entwürfe übernahm schließlich die Mutter.
Auch zu diesem Zeitpunkt realisiert noch niemand das wahre Talent der Nähschülerin Schmauch. Am wenigsten sie selbst.
Dann kam der Krieg, und Elisabeth wurde eingezogen, wieder nach Holland, diesmal in die Nähe von Amsterdam. Die ersten Jahre ihres Einsatzes für das Nachrichtenregiment der Heeresgruppe B hat sie in beinahe angenehmer Erinnerung. „Wir waren 50 oder 60 junge Mädchen, und es war die Zeit, wo noch keine Luftangriffe geflogen wurden und die Lage relativ ruhig war.“ Doch dann kam die Nachricht vom Tod ihres Vaters, der an den Folgen einer Operation starb. Auch aus den deutschen Städten trafen die ersten Hiobsbotschaften über die holländische Grenze ein. Wenn eine Straße zerbombt wurde, in der Verwandtschaft von Elisabeth Schmauch wohnte, reiste sie zum Sonderurlaub in die Domstadt, immer in der ängstlichen Ungewissheit dessen, was sie vorfinden würde. Die anfängliche Naivität der ersten Kriegsjahre war endgültig vorbei. „Ich habe viel gebetet, dass alle am Leben bleiben“, sagt sie. „Und alle sind zurückgekommen.“ Sie macht eine Pause. „Aber keiner so, wie er gegangen ist.“ Elisabeth Schmauch schaut aus dem Fenster.
Dann erinnert sie sich an die Zeit nach dem Krieg, als jeder das Kaputtgegangene wieder aufbauen wollte. Elisabeth konnte ihren Mann, einen Marinesoldaten, erst lange nach Kriegsende wieder in die Arme schließen. Er war in russischer Gefangenschaft gewesen. Die Ehe mit dem gebürtigen Thüringer war glücklich, blieb aber kinderlos.
Elisabeth kümmerte sich um ihre verwitwete Mutter und nahm sie zu sich ins Haus in Köln-Raderberg. Ihr Mann verstand sich gut mit der Schwiegermutter – ein Segen. Elisabeth genoss die Zeit des Aufbaus in den 50er-Jahren – und die Möglichkeit, fremde Länder kennenzulernen. „Wir haben auf vieles verzichtet, mein Mann und ich, aber niemals auf unsere Urlaubsreisen“, schwärmt sie. Immer in Richtung Süden trieb es die Eheleute Schmauch, an die Riviera, dahin, wo es warm ist. Ihr Mann, der aus einer ostdeutschen Druckereifamilie stammte, verdiente den Lebensunterhalt als angestellter Buchdrucker. Elisabeth kümmerte sich um die Mutter und den Haushalt. „Ich sollte nicht arbeiten gehen. Mein Mann hatte es zu Hause gerne parat. Dafür war ich zuständig. Wir waren beide ein bisschen pingelig und eigen. Mittags brachte ich ihm dann das Essen in die Druckerei, die nur wenig entfernt von unserem Wohnsitz war“, sagt die alte Dame.
Als junge Ehefrau war sie viel krank, ließ sich aber von ihren Beschwerden nicht unterkriegen. „‚Die Schmauch ist ein Stehaufmännchen‘, haben die Leute immer gesagt, bis heute“, lächelt sie stolz und fügt hinzu: „Mit Willen ist alles zu erreichen.“ Die Willenskraft der Kölnerin wurde im Laufe ihres langen Lebens oft herausgefordert.
Sie war gerade Anfang 50, als ihr geliebter Mann auf dem Weg zu seiner Arbeit zusammenbrach. Wenige Tage später war er tot. Nach nur 20 Ehejahren stand sie allein da. Auf ihrer Suche nach Arbeit erntete die Witwe nur Kopfschütteln. Für Frauen über 50 gab es in den 60er-Jahren keinen Platz in der Arbeitswelt. Doch Elisabeth Schmauch gab nicht auf und fand schließlich eine Anstellung im Büro eines Lederwarengeschäfts, wo sie bis zur Rente arbeitete. „Hätte ich den lieben Gott nicht immer bei mir gehabt, ich hätte manches nicht überwunden“, sagt sie leise und schaut auf die Figur des heiligen Judas Thaddäus, dem sie nach eigenen Worten die Heilung von verschiedenen Krankheiten verdankt.
Im Seniorenhaus Maria Einsiedeln begann Elisabeth wieder zu malen. Plötzlich, aus einem inneren Wunsch heraus. Wenn es ihr gesundheitlich gut geht, greif sie jeden Tag zu Stift oder Pinsel. „Dann sehe ich etwas und denke mir: ‚Das könntest du mal malen.‘ Oder ich trage ein Bild in mir und male es so, wie ich es mir vorstelle“, erklärt sie und deutet auf ein leuchtend blaues Trauben-Stillleben über ihrem Wohnzimmerschrank. Sie steht auf und öffnet eine Schublade, die einen ganzen Stapel wunderschöner Bilder beherbergt. Leuchtende Sonnenblumen, roter Klatschmohn, bunte Papageien. „Viele Bilder habe ich auch verschenkt, das kommt immer gut an“, lächelt sie.
Dann setzt sich Elisabeth Schmauch wieder an ihren Lieblingsplatz am Fenster und schaut in den bunten Herbstwald. Vielleicht entsteht gerade die Idee zu einem neuen Bild.
Text: Michaela Szillat
Auch zu diesem Zeitpunkt realisiert noch niemand das wahre Talent der Nähschülerin Schmauch. Am wenigsten sie selbst.
Dann kam der Krieg, und Elisabeth wurde eingezogen, wieder nach Holland, diesmal in die Nähe von Amsterdam. Die ersten Jahre ihres Einsatzes für das Nachrichtenregiment der Heeresgruppe B hat sie in beinahe angenehmer Erinnerung. „Wir waren 50 oder 60 junge Mädchen, und es war die Zeit, wo noch keine Luftangriffe geflogen wurden und die Lage relativ ruhig war.“ Doch dann kam die Nachricht vom Tod ihres Vaters, der an den Folgen einer Operation starb. Auch aus den deutschen Städten trafen die ersten Hiobsbotschaften über die holländische Grenze ein. Wenn eine Straße zerbombt wurde, in der Verwandtschaft von Elisabeth Schmauch wohnte, reiste sie zum Sonderurlaub in die Domstadt, immer in der ängstlichen Ungewissheit dessen, was sie vorfinden würde. Die anfängliche Naivität der ersten Kriegsjahre war endgültig vorbei. „Ich habe viel gebetet, dass alle am Leben bleiben“, sagt sie. „Und alle sind zurückgekommen.“ Sie macht eine Pause. „Aber keiner so, wie er gegangen ist.“ Elisabeth Schmauch schaut aus dem Fenster.
Dann erinnert sie sich an die Zeit nach dem Krieg, als jeder das Kaputtgegangene wieder aufbauen wollte. Elisabeth konnte ihren Mann, einen Marinesoldaten, erst lange nach Kriegsende wieder in die Arme schließen. Er war in russischer Gefangenschaft gewesen. Die Ehe mit dem gebürtigen Thüringer war glücklich, blieb aber kinderlos.
Elisabeth kümmerte sich um ihre verwitwete Mutter und nahm sie zu sich ins Haus in Köln-Raderberg. Ihr Mann verstand sich gut mit der Schwiegermutter – ein Segen. Elisabeth genoss die Zeit des Aufbaus in den 50er-Jahren – und die Möglichkeit, fremde Länder kennenzulernen. „Wir haben auf vieles verzichtet, mein Mann und ich, aber niemals auf unsere Urlaubsreisen“, schwärmt sie. Immer in Richtung Süden trieb es die Eheleute Schmauch, an die Riviera, dahin, wo es warm ist. Ihr Mann, der aus einer ostdeutschen Druckereifamilie stammte, verdiente den Lebensunterhalt als angestellter Buchdrucker. Elisabeth kümmerte sich um die Mutter und den Haushalt. „Ich sollte nicht arbeiten gehen. Mein Mann hatte es zu Hause gerne parat. Dafür war ich zuständig. Wir waren beide ein bisschen pingelig und eigen. Mittags brachte ich ihm dann das Essen in die Druckerei, die nur wenig entfernt von unserem Wohnsitz war“, sagt die alte Dame.
Als junge Ehefrau war sie viel krank, ließ sich aber von ihren Beschwerden nicht unterkriegen. „‚Die Schmauch ist ein Stehaufmännchen‘, haben die Leute immer gesagt, bis heute“, lächelt sie stolz und fügt hinzu: „Mit Willen ist alles zu erreichen.“ Die Willenskraft der Kölnerin wurde im Laufe ihres langen Lebens oft herausgefordert.
Sie war gerade Anfang 50, als ihr geliebter Mann auf dem Weg zu seiner Arbeit zusammenbrach. Wenige Tage später war er tot. Nach nur 20 Ehejahren stand sie allein da. Auf ihrer Suche nach Arbeit erntete die Witwe nur Kopfschütteln. Für Frauen über 50 gab es in den 60er-Jahren keinen Platz in der Arbeitswelt. Doch Elisabeth Schmauch gab nicht auf und fand schließlich eine Anstellung im Büro eines Lederwarengeschäfts, wo sie bis zur Rente arbeitete. „Hätte ich den lieben Gott nicht immer bei mir gehabt, ich hätte manches nicht überwunden“, sagt sie leise und schaut auf die Figur des heiligen Judas Thaddäus, dem sie nach eigenen Worten die Heilung von verschiedenen Krankheiten verdankt.
Im Seniorenhaus Maria Einsiedeln begann Elisabeth wieder zu malen. Plötzlich, aus einem inneren Wunsch heraus. Wenn es ihr gesundheitlich gut geht, greif sie jeden Tag zu Stift oder Pinsel. „Dann sehe ich etwas und denke mir: ‚Das könntest du mal malen.‘ Oder ich trage ein Bild in mir und male es so, wie ich es mir vorstelle“, erklärt sie und deutet auf ein leuchtend blaues Trauben-Stillleben über ihrem Wohnzimmerschrank. Sie steht auf und öffnet eine Schublade, die einen ganzen Stapel wunderschöner Bilder beherbergt. Leuchtende Sonnenblumen, roter Klatschmohn, bunte Papageien. „Viele Bilder habe ich auch verschenkt, das kommt immer gut an“, lächelt sie.
Dann setzt sich Elisabeth Schmauch wieder an ihren Lieblingsplatz am Fenster und schaut in den bunten Herbstwald. Vielleicht entsteht gerade die Idee zu einem neuen Bild.
Text: Michaela Szillat