Elisabeth Becker, geboren am 13. Februar 1912, schwenkte als Mädchen Papierfähnchen zum Geburtstag des Kaisers. Jetzt lebt sie im Heim und rät allen, die so alt werden wollen wie sie: "Atmen nicht vergessen!"
8 Jahre lang ist Elisabeth Becker inzwischen schon wieder ein „Fräulein“. Man könnte auch sagen, sie sei verwitwet; denn vor fast einem halben Jahrhundert starb ihr Mann, und seitdem ist Elisabeth ganz auf sich allein gestellt. Doch das fröhlicher klingende Fräulein passt irgendwie besser zu ihr.
Doch würde man ihr die sieben Herren aus dem Luisenheim von IN VIA in Düsseldorf selbst auf einem Silbertablett servieren – es wäre vergeblich. „Ich bin zwar schon 101 Jahre alt. Aber Ansprüche – die muss frau sich bewahren können“, lacht sie, und ihre Augen funkeln vor Lebensfreude. Ohne ihren Rollator kommt sie zwar nicht mehr von A nach B, aber die üppige Locke über ihrer Stirn ist perfekt frisiert – und auch unter der weißen Haarpracht: Ihr Kopf ist allzeit hellwach. „Ich habe viel erlebt, und alles ist hier drin“, sagt sie und tippt an ihre Schläfe, während sie selbstbewusst in ihrem großen Ohrensessel sitzt, der vor drei Jahren mit ihr ins Altenpflegeheim umgezogen ist.
Und dann erzählt sie von den erlebten Dingen: dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, dem Bau des Düsseldorfer Tausendfüßlers und dem des Karl-Marx-Hauses. „Es erschien mir so groß, dass ich dachte, das Karl-Marx-Haus würde einstürzen. Als sie dann auch noch anfingen, die U-Bahn drunter her zu bauen, da war ich sicher: Es stürzt bald ein. Und was ist? Es steht immer noch. So wie ich!“
Doch wie bleibt man stehen, wenn man so lange allein kämpfen muss, wenn das Leben es nicht immer gut mit einem meint? „Acht Stunden Schlaf in der Nacht und Ziele, für die man sich recken muss, die man aber doch erreichen kann“ – beides habe ihr zum hohen Lebensalter verholfen, ist Elisabeth Becker überzeugt. Und, ja, natürlich: ihre heiß geliebten Kreuzworträtsel. In fünf Minuten schafft die 101-Jährige eine ganze Seite.
„Ach ja, Atmen nicht vergessen. Damit ist eigentlich alles gesagt!“
Elisabeth Becker ist auch mit 101 Jahren noch jemand, der das Leben im wahrsten Worte einatmen möchte. „Mein Leben hatte die bestimmte Würze. Mehr als es das Essen im Heim hat. Das ist mir etwas zu fad“, fügt sie schmunzelnd hinzu. „Ich hatte glückliche und traurige Momente. Und an jeden einzelnen erinnere ich mich.“ Da schwärmt sie zum Beispiel von den Rippchen mit Kartoffelsalat für 28 Pfennig in der Düsseldorfer Altstadt. Und wenn es dann im Füchschen noch ein frisch gezapftes Alt-Bier gab, schwebte Elisabeth Becker im siebten Himmel. „Ich bin ein richtiges Düsseldorfer Mädchen“, lacht sie und träumt von den langen Sommerabenden im Düsseldorfer Hofgarten. Von den schick gekleideten Damen auf der Königsallee, von den Herren mit den großen Zylindern und den Sonntagsspaziergängen mit ihrer Familie am Rhein entlang. „Auf den Geburtstag vom Kaiser Wilhelm haben wir uns deshalb immer sehr gefreut. Fast mehr als auf unseren eigenen“, schwärmt sie. „Da gab es dann immer diese kleinen Papierfähnchen, die man so hübsch schwenken konnte. Doch Elisabeth Becker erinnert sich auch an die Momente, in denen sie kämpfen musste. „Die richtige Armut, die fing erst nach dem Ersten Weltkrieg an. Geschäfte wurden geplündert. Die Rotfront besetzte meine Schule. Wir hatten kaum etwas zu essen – und Spielzeug? Ach, davon konnten wir nur träumen“, erzählt die alte Dame. Ansonsten hatten wir ja nichts. Bis …“, Elisabeth Becker macht eine dramatische Pause, „… bis ich Millionärin wurde.“ Einen kurzen Moment genießt sie ihren Auftritt. „Doch leider kostete auch das Brot eine Million Mark. Jaja die Inflation. Was waren wir alle reich und doch so bitterarm.“ Nach der Inflation bekam ein jeder 40 damalige Rentenmark in die Hand gedrückt, um ein neues Leben zu beginnen. Auch nicht besser, wie das damals junge Mädchen fand. „Da hatten wir plötzlich Geld, aber Essen, das wir uns davon hätten kaufen konnten – das gab es nicht.“
Über den Zweiten Weltkrieg spricht Elisabeth Becker nur ungern. „Wie gesagt, ich kann mich an alles erinnern. Fluch und Segen zugleich.“ Nur kurz erwähnt sie die bangen Nächte, die sie mit ihrer kleinen Tochter aus Angst vor den Bomben im Keller verbracht hat. „Lange konnten wir da jedoch nicht ausharren. Wir mussten ja etwas zu essen besorgen. Und wenn man nichts fand, hat man in einem Kochtopf einfaches Wasser erhitzt, damit der Magen etwas Warmes bekam“, erzählt sie. Ihr Mann kam als einer der wenigen wieder aus dem Krieg heim. So wie damals schon ihr Vater hatte er das Glück, zu seiner Familie zurückzufinden. „Wir Frauen, wir lebten nur mit Großvätern zusammen. Die Väter, sollten sie denn zurückkommen dürfen, waren für die Kinder Fremde“, erinnert sich Elisabeth Becker. Nie wird sie vergessen, wie ihr Mann nach dem Krieg wieder Essen hatte, aber nicht mehr essen konnte. „Sie hatten Gras gegessen, wenn sie es nicht mehr aushalten konnten. Der Magen meines Mannes war total kaputt. Der Krieg hatte sie psychisch und körperlich ruiniert. Gestorben ist er dann jedoch an Krebs. Viel zu früh.“ Heute beneidet sie die Ehepaare, die das Glück haben, gemeinsam alt zu werden. „Fast 50 Jahre ist er nun schon tot. So lange bleiben die meisten heute gar nicht mal zusammen“, sagt sie. Die schnellen Entscheidungen der jungen Menschen kann die 101-Jährige nicht nachvollziehen. „Es gibt nicht automatisch den Partner fürs Leben. Man muss sich anpassen, an sich arbeiten.“ Noch heute fragt sich Elisabeth Becker oft, was wohl ihr Mann in einer bestimmten Situation getan hätte. Dann falle es ihr leichter, Entscheidungen zu treffen.
Einen neuen Mann gab es in ihrem langen Leben nicht mehr. „Stellen Sie sich vor, obwohl ich 48 Jahre wieder Fräulein Becker bin, habe ich keinen einzigen Heiratsantrag mehr bekommen. Auch nicht von den Herren hier im Heim“, beschwert sie sich schmunzelnd. „Die Locke, die stecke ich mir aber trotzdem jeden Abend wieder fest. Auch wenn nur meine Tochter und mein Enkel etwas davon haben.“
Und dann lacht die 101-jährige Elisabeth Becker wieder ihr fröhliches Fräuleinlachen.
Text: Anna Woznicki
Elisabeth Becker ist auch mit 101 Jahren noch jemand, der das Leben im wahrsten Worte einatmen möchte. „Mein Leben hatte die bestimmte Würze. Mehr als es das Essen im Heim hat. Das ist mir etwas zu fad“, fügt sie schmunzelnd hinzu. „Ich hatte glückliche und traurige Momente. Und an jeden einzelnen erinnere ich mich.“ Da schwärmt sie zum Beispiel von den Rippchen mit Kartoffelsalat für 28 Pfennig in der Düsseldorfer Altstadt. Und wenn es dann im Füchschen noch ein frisch gezapftes Alt-Bier gab, schwebte Elisabeth Becker im siebten Himmel. „Ich bin ein richtiges Düsseldorfer Mädchen“, lacht sie und träumt von den langen Sommerabenden im Düsseldorfer Hofgarten. Von den schick gekleideten Damen auf der Königsallee, von den Herren mit den großen Zylindern und den Sonntagsspaziergängen mit ihrer Familie am Rhein entlang. „Auf den Geburtstag vom Kaiser Wilhelm haben wir uns deshalb immer sehr gefreut. Fast mehr als auf unseren eigenen“, schwärmt sie. „Da gab es dann immer diese kleinen Papierfähnchen, die man so hübsch schwenken konnte. Doch Elisabeth Becker erinnert sich auch an die Momente, in denen sie kämpfen musste. „Die richtige Armut, die fing erst nach dem Ersten Weltkrieg an. Geschäfte wurden geplündert. Die Rotfront besetzte meine Schule. Wir hatten kaum etwas zu essen – und Spielzeug? Ach, davon konnten wir nur träumen“, erzählt die alte Dame. Ansonsten hatten wir ja nichts. Bis …“, Elisabeth Becker macht eine dramatische Pause, „… bis ich Millionärin wurde.“ Einen kurzen Moment genießt sie ihren Auftritt. „Doch leider kostete auch das Brot eine Million Mark. Jaja die Inflation. Was waren wir alle reich und doch so bitterarm.“ Nach der Inflation bekam ein jeder 40 damalige Rentenmark in die Hand gedrückt, um ein neues Leben zu beginnen. Auch nicht besser, wie das damals junge Mädchen fand. „Da hatten wir plötzlich Geld, aber Essen, das wir uns davon hätten kaufen konnten – das gab es nicht.“
Über den Zweiten Weltkrieg spricht Elisabeth Becker nur ungern. „Wie gesagt, ich kann mich an alles erinnern. Fluch und Segen zugleich.“ Nur kurz erwähnt sie die bangen Nächte, die sie mit ihrer kleinen Tochter aus Angst vor den Bomben im Keller verbracht hat. „Lange konnten wir da jedoch nicht ausharren. Wir mussten ja etwas zu essen besorgen. Und wenn man nichts fand, hat man in einem Kochtopf einfaches Wasser erhitzt, damit der Magen etwas Warmes bekam“, erzählt sie. Ihr Mann kam als einer der wenigen wieder aus dem Krieg heim. So wie damals schon ihr Vater hatte er das Glück, zu seiner Familie zurückzufinden. „Wir Frauen, wir lebten nur mit Großvätern zusammen. Die Väter, sollten sie denn zurückkommen dürfen, waren für die Kinder Fremde“, erinnert sich Elisabeth Becker. Nie wird sie vergessen, wie ihr Mann nach dem Krieg wieder Essen hatte, aber nicht mehr essen konnte. „Sie hatten Gras gegessen, wenn sie es nicht mehr aushalten konnten. Der Magen meines Mannes war total kaputt. Der Krieg hatte sie psychisch und körperlich ruiniert. Gestorben ist er dann jedoch an Krebs. Viel zu früh.“ Heute beneidet sie die Ehepaare, die das Glück haben, gemeinsam alt zu werden. „Fast 50 Jahre ist er nun schon tot. So lange bleiben die meisten heute gar nicht mal zusammen“, sagt sie. Die schnellen Entscheidungen der jungen Menschen kann die 101-Jährige nicht nachvollziehen. „Es gibt nicht automatisch den Partner fürs Leben. Man muss sich anpassen, an sich arbeiten.“ Noch heute fragt sich Elisabeth Becker oft, was wohl ihr Mann in einer bestimmten Situation getan hätte. Dann falle es ihr leichter, Entscheidungen zu treffen.
Einen neuen Mann gab es in ihrem langen Leben nicht mehr. „Stellen Sie sich vor, obwohl ich 48 Jahre wieder Fräulein Becker bin, habe ich keinen einzigen Heiratsantrag mehr bekommen. Auch nicht von den Herren hier im Heim“, beschwert sie sich schmunzelnd. „Die Locke, die stecke ich mir aber trotzdem jeden Abend wieder fest. Auch wenn nur meine Tochter und mein Enkel etwas davon haben.“
Und dann lacht die 101-jährige Elisabeth Becker wieder ihr fröhliches Fräuleinlachen.
Text: Anna Woznicki